Liberating Structures: Mit einfachen Regeln zu mehr Ideenreichtum im Projektmanagement

Warum klassische Workshops oft zum Ideen-Killer werden

Liberating Structures: Mit einfachen Regeln zu mehr Ideenreichtum im Projektmanagement

Wer kennt es nicht: Das Flipchart ist bereit, die Post-its liegen parat, der Beamer summt freundlich vor sich hin – und doch passiert: wenig. Zwei Menschen reden, zehn schweigen. Die Agenda wird pflichtbewusst abgearbeitet, das Protokoll ist lückenlos, und trotzdem verlässt man den Raum mit dem diffusen Gefühl, dass man gerade kostbare Lebenszeit im Meetingkoma verbracht hat. Doch es geht auch anders. Im Projektmanagement, wo Zeit, Fokus und echte Ideen über Erfolg oder Frustration entscheiden, braucht es Methoden, die nicht nur den Moderierenden gefallen, sondern die alle Teilnehmenden aktivieren. Genau hier kommen die Liberating Structures ins Spiel.

Was sind Liberating Structures?

Liberating Structures (kurz: LS) sind 33 einfache, aber wirkungsvolle Mikrostrukturen, die entwickelt wurden, um Gruppenprozesse zu demokratisieren. Statt auf PowerPoint-Dauerslides oder Frontalmoderation zu setzen, ermöglichen sie es jedem Teilnehmenden, sich mit Ideen, Perspektiven und Wissen einzubringen.
Das Konzept wurde von Keith McCandless und Henri Lipmanowicz entwickelt und erfreut sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit nicht nur in Innovations- und Kreativteams, sondern auch im Projektmanagement. Die Grundidee: Eine gute Struktur fördert Kreativität, anstatt sie zu unterdrücken. Die Methoden sollen die Teilnehmenden von Besprechungen von traditionellen einschränkenden oder kontrollierenden Strukturen befreien, woher auch der Name Liberating Structures kommt. Nimmt man diese Methoden zur Hand liegt die Kontrolle über eine Besprechung also nicht mehr nur bei der vortragenden oder moderierenden Person, sondern ist gleichmässig auf alle Gruppenmitglieder verteilt, sodass sie alle zu gleichen Teilen am Ergebnis teilhaben können. Gleichzeitig bieten diese Strukturen aber dennoch einen geordneten Rahmen, der einen zielgerichteten Ablauf der Besprechungen ermöglicht.

Warum sind Liberating Structures im Projektmanagement so wertvoll?

In Projekten geht es oft um komplexe Entscheidungen, sich ändernde Anforderungen und eine Vielzahl an Stakeholdern mit ganz eigenen Erwartungen. Die klassische Meeting-Logik (Präsentation + Diskussion + Konsens) stösst hier schnell an ihre Grenzen:

  • Lautere Stimmen dominieren die Diskussion.
  • ntrovertierte oder fachfremde Beteiligte ziehen sich zurück.
  • Gute Ideen gehen schnell unter.
  • Entscheidungen werden vertagt oder treffen nicht den Kern des Problems.

Liberating Structures setzen hier an und stellen sicher, dass alle Stimmen gehört werden, Ideen strukturiert entwickelt und Entscheidungen fundiert getroffen werden. Das ist besonders wertvoll in:

  • Kick-off-Meetings: Wo Vision, Ziele und Zusammenarbeit geklärt werden müssen.
  • Sprint Reviews oder Retrospektiven: Um konstruktives Feedback zu erhalten.
  • Stakeholder-Workshops: Wenn unterschiedliche Interessen ausbalanciert werden müssen.
  • Lessons-Learned-Runden: Damit nicht nur der Projektleiter spricht.

In 5 Schritten zur eigenen Kraftfeldanalyse

  1. 1-2-4-All – Wenn wirklich alle mitreden sollen
    Diese Struktur ist so simpel wie effektiv: Erst denkt jede Person für sich nach (1 Minute), dann diskutiert man zu zweit (2 Minuten), dann zu viert (4 Minuten), bevor Ergebnisse im Plenum gesammelt werden (All). Ergebnis: kein Schweigen, keine „Ich stimme dem vorher Gesagten zu“-Sprechblasen.
    Einsatzmöglichkeiten: Ideenfindung für Projektziele, Sammlung von Risiken, Feedback zu bisherigen Ergebnissen.
  2. TRIZ – Die paradoxe Kreativitätstechnik
    TRIZ fragt provokant: Was müssten wir tun, um unser Projekt garantiert scheitern zu lassen? Was verrückt klingt, führt oft zu entlarvenden Einsichten. Danach wird reflektiert, welche dieser (absichtlich schädlichen) Praktiken eventuell bereits verwendet werden und was daran geändert werden kann.
    Einsatzmöglichkeiten: Projektstarts, Retrospektiven, Change-Prozesse.
  3. What, So What, Now What? – Strukturierte Reflexion
    Diese Methode leitet Gruppen durch drei einfache Fragen:
    • Was ist passiert? (Fakten)
    • Was bedeutet das? (Interpretation)
    • Was tun wir jetzt? (Handlung)
      Ideal, um z. B. nach Meilensteinen oder in schwierigen Projektsituationen einen klaren Kopf zu bekommen.

Weitere Liberating Structures im Projektkontext – ein kompakter Überblick

Liberating Structure

Anwendung im Projektmanagement

Kurz erklärt

Appreciative Interview

Erfolgsfaktoren in Retros oder Projektabschlüssen identifizieren

Partnerinterview über besonders positive Erfahrungen, um daraus Stärken abzuleiten

Troika Consulting

Kollegiale Beratung zu konkreten Herausforderungen im Projekt

Eine Person stellt ein Anliegen vor, zwei andere beraten sie im Wechselspiel

25/10 Crowd Sourcing

Ideen zu Massnahmen, Features oder Verbesserungsvorschlägen bewerten

Alle schreiben eine Idee, die dann über mehrere Runden von jedem bewertet wird. So setzen sich die Top-ideen durch

Nine Whys

Klärung übergeordneter Projektziele und Motivationen

Durch 9-maliges Nachfragen nach dem „Warum?“ wird ein tieferer Zweck sichtbar

Celebrity Interview

Zielklärung oder Change-Themen anschaulich und unterhaltsam vermitteln

Eine Person übernimmt die Rolle einer bekannten Persönlichkeit und wird interviewt zum Thema

Drawing Together

Komplexe Zusammenhänge oder Prozesse sichtbar machen

Teilnehmer visualisieren z. B. ihre Projektvision oder Zusammenarbeit

Impromptu Networking

Einstieg in Workshops, Förderung des persönlichen Austauschs

Mehrere kurze 1:1-Gespräche zu vorbereiteten Fragen

Heard, Seen, Respected

Empathisches Verstehen bei Konflikten oder emotionalen Themen im Team

Partner teilen schwierige Situationen – ohne Bewertung, nur Zuhören

Helping Heuristics

Wissensaustausch oder Coaching im Team fördern

Leitlinien zur gegenseitigen Hilfe werden reflektiert und verbessert

Open Space

Themenzentriertes Arbeiten in grossen Gruppen

Teilnehmende bringen eigene Themen ein und organisieren Sessions selbst

Panarchy

Verständnis für Systemzusammenhänge und Dynamiken im Projektumfeld erweitern

Betrachtung von Themen auf unterschiedlichen Systemebenen (z. B. Mikro/Makro)

Ecocycle

Überblick über laufende, geplante und blockierte Aktivitäten gewinnen

Aktivitäten in vier Felder einordnen: Geburt, Reife, kreative Zerstörung, Erneuerung

Integrated Autonomy

Balance zwischen Eigenverantwortung und Abstimmung im Team reflektieren

Reflexion über Spannungsfelder zwischen Freiheit und Abstimmung

Social Network Webbing

Stakeholder-Netzwerke analysieren

Beziehungen und Kommunikationsflüsse sichtbar machen

Simple Ethnography

Nutzerbedürfnisse erfassen

Beobachtung realer Verhaltensweisen statt nur Befragung

Design Storyboards

Projekte oder Prozesse als „Geschichte“ sichtbar machen

Sequenz von Bildern oder Szenen erstellen, um Abläufe verständlich zu machen

Wicked Questions

Widersprüchliche Anforderungen im Projekt sichtbar machen

Gegensätzliche, aber gleich wichtige Fragestellungen formulieren

Wise Crowds

Komplexe Entscheidungen partizipativ treffen

Eine Person schildert ein Anliegen, Gruppe berät strukturiert mit Beobachtern

Discovery & Action Dialogue

Gemeinsame Problemlösung bei schwierigen Situationen im Projekt

Beteiligte analysieren gemeinsam Ursachen und entwickeln praktikable Lösungen

Min Specs

Fokus auf das Wesentliche in Projektregeln oder Rahmenbedingungen

Unterscheidung zwischen Muss- und Kann-Kriterien

What I Need From You (WINFY)

 

Klärung von Erwartungen und Unterstützung im Team oder mit Stakeholdern

Personen formulieren klar, was sie von anderen benötigen – und was sie anbieten können

 

Critical Uncertainties

Szenarien für unklare Projektdynamiken entwickeln

Zwei Unsicherheiten gegenüberstellen und Strategien entwickeln

Agree/Certainty Matrix

Umgang mit komplexen Entscheidungslagen klären

Probleme nach Grad der Einigkeit und Sicherheit einordnen und passende Strategien finden

Purpose-to-Practice

Projektstart von Vision zu Umsetzung strukturieren

Ziel, Prinzipien, Teilnehmer, Strukturen, Praktiken gemeinsam festlegen

Impromptu Prototyping

 

Ideen frühzeitig erlebbar machen, Feedback generieren

 

Konzepte oder Prozesse werden schnell skizziert oder gespielt, um Reaktionen und Erkenntnisse zu fördern

User Experience Fishbowl

Nutzerfeedback direkt und offen erleben

Nutzer sprechen in einem inneren Kreis, Team hört aktiv zu

Generative Relationships

 

Zusammenarbeit durch Beziehungsqualität stärken

Reflexion, welche Beziehungen im Projekt förderlich sind, und wie man diese aktiv pflegt

 

Shift & Share

Best Practices im Projektteam verbreiten

Kleine Gruppen rotieren durch Stationen mit Erfolgsgeschichten

15% Solutions

Eigenverantwortung stärken, kleine, machbare Schritte identifizieren

Jeder überlegt, was er oder sie sofort umsetzen kann – ohne zusätzliche Ressourcen oder Genehmigung

Conversation Café

Offener Dialog über komplexe oder sensible Themen

In Runden sprechen alle zu einer Leitfrage, mit Fokus auf Zuhören, Verstehen und Perspektivwechsel

Best Practices für den Einsatz im Projektumfeld

  1. Klein starten: Man muss nicht sofort das ganze Projekt mit LS umkrempeln. Eine Methode in einem Workshop reicht für den Anfang und um zu testen, ob die Liberating Structures für Ihr Team und Ihre Bedürfnisse funktionieren.

  2. Moderation vorbereiten: Auch wenn LS simpel wirken: Ein klarer Ablauf, Zeitrahmen und Rollen sind essenziell.

  3. Teilnehmende vorbereiten: Gerade in formellen Umfeldern hilft ein kurzer Kontext, warum z. B. alle gleichzeitig aufstehen oder Karten schreiben.

Häufige Stolperfallen – und wie sie vermieden werden können

  • „Wir machen mal was Neues“ ohne Ziel: LS sind kein Selbstzweck. Jede Struktur braucht ein klares Anliegen, das durch sie erreicht werden soll. Je nach Ziel wird dann die passende Struktur ausgewählt.
  • Zu viele Methoden auf einmal: Es reicht eine, gut eingesetzte Struktur. Sonst wird aus „frei entfalten“ schnell „wild verheddern“.
  • Falsche Erwartungen: LS vollbringen nicht sofort Wunder, sondern laden zur gemeinsamen Entwicklung ein. Wer auf fertige Ergebnisse hofft, ist eventuell mit einem klassischen Brainstorming glücklicher.

Fazit

Liberating Structures bieten Projektteams die Möglichkeit, neue Perspektiven sichtbar zu machen, gemeinsam bessere Entscheidungen zu treffen und Meetings in produktive, inspirierende Formate zu verwandeln. Sie sind ein einfaches, aber effektives Gegenmittel gegen die Einfallslosigkeit vieler Workshop-Formate.

Die Kreativität aus Workshops ist allerdings nur dann nachhaltig, wenn sie konkret wird: in Form von Aufgaben, Entscheidungen und dokumentierten Erkenntnissen. Mit myPARM ProjectManagement lassen sich die Ergebnisse aus Liberating-Structures-Sessions nahtlos in die operative Projektarbeit überführen. Ob als Aufgaben in Workflows, dokumentierte Lessons Learned oder als Basis für die nächste Retrospektive – myPARM bietet die passende Plattform, um Struktur und Freiheit intelligent zu verbinden. So bleibt keine gute Idee auf einem Post-it kleben, sondern wird Teil einer erfolgreichen Projektumsetzung.

Erfahren Sie mehr über die Projekt- und Portfoliomanagementsoftware myPARM:

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